Abseits von allem Lärm aber dennoch einigermaßen zentral auf einem Hügel am Rande von Montepulciano (südliche Toskana) gelegen, ist die Fattoria San Martino ein Juwel für Menschen, die fern vom Mainstream etwas Besonderes suchen, Wert auf eine gepflegte Atmosphäre und gesundes Leben legen.
Hier haben die Designerin Karin Lijftogt und ihr Mann Antonio, die 1999 aus dem Modegeschäft in Mailand („It was all about money“…) ausgestiegen sind, eine Villa und ein kleines Bauernhaus zu einem Gästehaus ausgebaut – die ältesten Teile des Anwesens stammen aus dem 12. Jahrhundert. Geleitet von dem Wunsch nach einem Leben im Einklang mit der Natur und einem bewundernswerten Gespür für die Harmonie von Farben, Materialien und Formen haben die beiden das alte Gut über mehrere Jahre hinweg aufwendig und liebevoll nach organischen und biologischen Grundsätzen restauriert und ausgebaut.
Die Gästezimmer sind alle individuell gestaltet, jeder Gegenstand des täglichen Gebrauches ausgesucht und für sich etwas Besonderes. Die Möbel fanden sich zu einem Großteil auf regionalen Flohmärkten oder in Antiquitätenläden, alles andere wurde nach den Entwürfen von Karin Lijftogt gestaltet und zum Teil sogar von ihr selbst genäht oder angefertigt – wie die liebevoll dekorierten Bettbezüge und Kissen oder die handgenähten Wanddekorationen in den Zimmern. Teile ihrer Kollektion verkauft sie zusammen mit einigen Bio-Produkten aus eigener Herstellung in einem kleinen Shop in der Fattoria.
Hier ist ist nichts einheitlich oder langweilig, sogar die Frühstückstische werden jeden Morgen individuell gedeckt. Zwei Angestellte – eine Küchenhilfe und ein Zimmermädchen – helfen beim Tagesgeschäft. Karins Sinn für Schönheit, Ästhetik und gesundes Leben steckt buchstäblich in jedem Detail des Hauses, der Zimmer und in der Philosophie, mit der die Fattoria (ital. für „Bauernhaus“) bewirtschaftet wird. Zum Haus gehören ein Olivenhain und fünf Hektar Land. Kinder und Hunde sind willkommen. Wer keine Ausflüge machen will, findet hinter dem Haus einen Schwimmteich oder kann im Garten entspannen. Haushund Persia ist der Liebling der Kinder und ein leuchtendes Beispiel italienischer Gelassenheit.
Die Fattoria bietet Bed & Breakfast. Das Frühstück ist leicht und gesund (selbst gemachter Joghurt, Müsli, Kekse, hervorragendes selbst gebackenes Brot, verschiedene Marmeladen und täglich ein anderer selbst gebackenen Kuchen) – es gibt jedoch weder Käse, noch Aufschnitt oder Eier, auch kein Obst oder Gemüse.
Zum Essen und Ausgehen finden sich in Montepulciana und Umgebung zahlreiche hervorragende Restaurants – die Adressen ihrer besten Empfehlungen hat Karin liebevoll auf einem Falt-Plan arrangiert, den jeder Gast bei der Ankunft erhält. Ab und zu kocht die geborene Holländerin abends für die Gäste des Hauses. Dann sitzen alle um eine große Tafel im Garten oder im Frühstücksraum, essen, trinken und erzählen. Was auf den Tisch kommt, stammt entweder aus der eigenen (biologischen) Landwirtschaft oder von Bio-Bauern aus der Gegend. Es gibt ausschließlich biologisches, rein vegetarisches Essen. Tierische Produkte (Milch, Käse) kommen nur sehr spärlich zu Einsatz. Gekocht oder in Öl gebraten wird so wenig wie möglich, dadurch ist das Essen sehr leicht, bekömmlich und gesund.
Gestern waren wir 16 Menschen aus allen Teilen der Welt: Äthiopien, Norwegen, Kanada, Polen, Deutschland, Holland und England. Karin serviert eine raffinierte Vorspeise aus Brot mit verschiedenen Frischkäsen und Gemüsen belegt; darunter auch ganz extravagante Kombinationen aus karamellisierten Zwiebeln und Schokolade oder roter Beete mit Orangenmarmelade. Sie liebt es zu experimentieren, erzählt sie mir später und hat oft Gäste, die allergisch gegen bestimmte Zutaten sind, so dass sie erfinderisch werden muss. Sehr lecker und eine schöne Anregung fand ich eine Kombination aus Aubergine, Zucchini (ohne Öl gebraten) und Frischkäse, die Karin mit ganz fein geschnittenen Streifen aus roten Zwiebeln garniert hat.
Die obligatorische Pasta stammt aus eigener Produktion (mit biologischem Mehl aus Assisi in Umbrien gefertigt). Karin kombiniert sie mit Zucchinistreifen, Olivenöl, einer Pesto aus Zitronenzesten und Petersilie und gehobeltem Ziegen-Peccorino. Eine hervorragende Mischung, die ich ganz sicher zu Hause ausprobieren werde – vielleicht sogar einmal ohne Nudeln.
Das Hauptgericht ist eine raffinierte Kombination aus gebratenem Seitan und verschiedenen (rohen oder leicht angebratenen) Gemüsen – kunstvoll übereinander geschichtet. Im Ganzen gebratener (oder gebackener?) Knoblauch sorgt für ein herrliches Aroma. Dazu gibt es eine kleine Portion gebratener Kartoffeln.
Zum Abschluss gibt es Karins Schokoladeneis mit Waldfrüchten, schmeckt hervorragend und ist ganz leicht nachzumachen: Sie schlägt Sahne und mischt sie mit flüssiger Schokolade. Löffelbiskuit zerkleinern und in die Schokoladen-Sahne rühren. Diese Mischung kommt für etwa eine halbe Stunde ins Gefrierfach und wird dann mit gemischten (Wald-)früchten serviert.
Zum Essen gab es Weiß- und Rotweine aus der Region, alle gut, aber nichts, was mich bewegen würde, es nachzukaufen und mitzunehmen.
Zum Dessert reicht Karin ein kleines Gläschen „Fragolino“ (übersetzt „kleine Erdbeere“), ein eher lieblicher Perlwein mit fruchtigem (Wald-)Erdbeeraroma, der aber mit Erdbeeren nichts zu tun hat. Ich kannte ihn vorher nicht, fand sein Aroma aber interessant. Das Recherchieren ergab, dass der Fragolino aus einer Rebsorte gekeltert wird, die man „Vitis Labrusca“ nennt. Sie ist auch als „uva fragola“ (Erdbeer-Rebe), bzw. „uva americana“ (amerikanische Rebe) bekannt, was erklärt, warum Karin uns sagte, der Weine werde aus einer „amerikanischen Beere“ gemacht.
Der ursprünglich aus dem Nordosten Italiens stammende Wein ist dunkelrot, leicht prickelnd und nur dezent süß. Die Traube bildet sehr früh kleine, dunkle Beeren, ist starkwüchsig, kälteunempfindlich und hat auch eine gewisse Resistenz gegen die Reblaus. Das ist der Grund, warum diese ursprünglich wohl tatsächlich aus Amerika stammende Rebsorte im 19. Jahrhundert nach einer Reblaus-Epidemie anstelle der empfindlicheren heimischen Sorten eingesetzt wurde.
Außerhalb Italiens ist der Fragolino nur noch sehr schwer erhältlich, weil Nach EU-Recht die Weine, die aus dieser Traube hergestellt werden, nicht als Qualitätsweine bezeichnet werden und daher ausschließlich für den Eigenverbrauch produziert werden dürfen.
Der in der Europäischen Union im Handel befindlicher „Fragolino„, ist deshalb kein „echter“ Fragolino aus der gleichnamigen Rebe, sondern entweder ein mit künstlichen Aromen aromatisierter Wein aus sehr reifen roten Weintrauben oder ein Verschnitt mit anderen Rebsorten – wenigstens das ist einigen Winzern in Italien heute wohl wieder erlaubt.
Pingback: Montepulciano, 10. Juli 2012 | Cala kocht